Sehr geehrte Damen und Herren des Kunstvereins,
sehr geehrte Künstlerinnen und Künstler,
liebe Linzerinnen und Linzer, liebe Gäste von nah und fern,
nachdem ich bei der Vernissage urlaubsbedingt nicht anwesend sein konnte, freue ich mich, heute als Bürgermeister der Stadt Linz zum Abschluss der Ausstellung hier im Molti-Gebäude sprechen zu dürfen.
Ihr vorzüglicher Katalog beginnt mit den Worten: „ Im Mai 2010 gründeten Menschen aus der Region Linz, Unkel und Bonn den Kunstverein Linz mit der Idee, Kunst zu fördern und diese durch Ausstellungen der Öffentlichkeit nahe zu bringen."
Diese Idee ist in der Tat Wirklichkeit geworden und diese Wirklichkeit wird durch die zusammenfassende Jubiläumsausstellung „Rheinschiene“ in hervorragender Weise dokumentiert. Und dass diese Idee immer noch die Kraft des Anfangs hat, beweist die Tatsache, dass sich von den bisherigen 30 ausgestellten Künstlern 22 an der Rheinschiene beteiligt haben.
Die Ausstellung zeigt eine farbige Vielfalt: Fotografien, Installationen, Plastiken, Bilder und Collagen. Aber sie ist trotz der Vielfalt, trotz der unterschiedlichen Materialien, trotz der unterschiedlichen Interpretationen kein Sammelsurium, sondern ein harmonisches Miteinander. Dazu tragen auch die Ausstellungsumgebung und das Ausstellungskonzept bei. Exemplarisch dafür ist der Raum, in dem wir jetzt stehen. Auch wenn jeder Künstler nur einmal vertreten ist, geben die Weite des Raumes, die Hängung auf unterschiedlichen, abgesetzten Wandteilen, die größen- und farbmäßige Korrespondenz, die gewählten Symmetrieachsen, die Zuordnungen der weißen Plastiken in der Raummitte ein Bild der Geschlossenheit, das für die Ausstellung insgesamt prägend ist.
Lassen Sie es mich auch einmal mit einer Collage versuchen. Keine Angst, ich gehe nicht dilettierend unter die bildenden Künstler. Lassen Sie mich eine Collage zum Thema Rheinschiene machen, wobei man das Wort „Schiene“ sowohl als räumliche Ausdehnung mit einer Richtungsdynamik als auch im Sinne von Zeitschiene als chronologisch verlaufend verstehen kann.
Im Katalog finden wir nicht nur Bilder, sondern die Künstler waren gebeten worden, dazu auch frei assoziierte Texte zu liefern. Dieser Bitte sind einige nachgekommen. Lassen Sie mich also zum Thema Rheinschiene aus diesen Texten meine literarische Collage machen.
Klaus Krumscheid: „Stromkilometer 630, Anfang oder Ende oder mittendrin? Willkommen im Mäanderland.“
Edith Oellers: „Rheinab und rheinauf sind die beiden geografischen Grundrichtungen meiner Biographie; die verschiedenen Orte waren immer in Flussnähe. So spielt die Erinnerung eine wichtige Rolle.“
Jörg Eberhard: „Die Würfel sind gefallen. Die Stühle … purzeln … wie seltsame Chiffren des Glücks als blaues Wasser (oder Wunder) den Rhein hinab.“
Rainer Barzen: „ Der Rhein Er ist ein stolzer Fluss Der immer fließen muss Kann er nicht mehr fließen Müssen wir ihn gießen.“
Die Texte geben in Verbindung das Wesentliche der Rheinschiene wieder: Der definierte Ort wird durch die Fließbewegung des Wassers bezüglich seiner Lokalisation in Zeit und Raum in Frage gestellt.
Und wie wunderschön? Dazu haben wir ein Kunstwerk. Es ist „Wasser“ von Sybille Walenciak. Täglich vom 7.April bis 6. Mai 2015 schöpfte sie an immer der gleichen Stelle am Rhein, beobachtet von den Tritonen vor dem Verwaltungsgebäude der Basalt AG, einen Liter Wasser und verband es in transparenten Polyethylenbeuteln zum faszinierenden Kunstwerk.
An immer der gleichen Stelle aus dem gleichen Fluss entnommen, sind doch die einzelnen Wasserbeutel Momentaufnahmen der Fließbewegung eines Monats, eingefangen und wieder zum Flussbild zusammengesetzt in der Arbeit der Künstlerin.
„Am rechten unteren Mittelrhein liegt auf Höhe des Rheinkilometers 630 die geschichtsträchtige Stadt Linz mit einem beeindruckenden Panorama historischer Gebäude.“ Soweit unsere Archivarin Andrea Rönz in ihrem Katalogbeitrag. Als Bürgermeister dieser schönen Stadt freut es mich, dass ein wesentliches Element der Ausstellung die Möglichkeit eines Stadtrundgangs anhand von historischen Fotografien ist. Auch hier zeigt sich der Wandel der Stadt im Lauf der Jahrzehnte. Die besondere Ausstrahlung der Schwarzweiss-Aufnahmen, denen man die Gründlichkeit des sich um Authentizität bemühenden Fotografen ansieht, verbindet sich im Ausstellungsraum wie selbstverständlich mit den aus der letzten Einzelausstellung verbliebenen schwarzen Linienführungen von Danuta Karsten.
Doch so beschaulich die Bilder aus der guten, alten Zeit auch sein mögen. In der Jetztzeit muss Linz kämpfen; die Realität sind keine nostalgischen Bilder in schwarzweiss, die Gegenwart ist bunt, teilweise grell, laut, schnell und zunehmend unkalkulierbar. Mobilität und Kommunikation machen die Welt zu einem Dorf; die Kleinstadt wird im Sog der Ballungsräume zunehmend anämisch und blass. Zumindest dann, wenn sie die ihr gegebenen Möglichkeiten und Chancen verspielt. Auch wenn wir im Rheinland leben, hoffe ich nicht, dass die Beschreibung von Andrascz Jaromir Weigoni aus dem Katalog zutrifft, die da lautet: „Die Rheinländer warten, bis es zu spät ist, dann ist es für sie noch früh genug. Ihr Leben ist voller Abschweifungen und nicht systematisierbar.“
Kooperation über alte Grenzen hinaus, Bündelung der Kräfte vor Ort, gemeinsame Zieldefinitionen, Zurückstellung von Eigeninteressen, jeder weiß es, wenige tun es. Immerhin wird in der Region inzwischen auf sozialem Gebiet und beim Tourismus über den alten Tellerrand geschaut. Doch wie sieht im kulturellen, speziell im Bereich der Kunst, der bildenden Kunst aus? Ich bin von Hause aus Arzt und will anhand der Historie Ihrer Ausstellung „Rheinschiene“, 5Jahre Linzer Kunstverein, die Symptome zusammentragen, die dann vielleicht eine Diagnose ermöglichen. Von Therapie will ich gar nicht reden.
Ich beginne mit den Symptomen positiver Art:
1. Das Interesse der Künstler der letzten 5 Jahre, in Linz dabei zu sein war, mit 22 von 30 hoch.
2. Es ist gelungen, mit dem Martinus-Gymnasium und der Alice-Salomon-Schule die junge Generation zu begeistern und teilweise Beachtliches entstehen zu lassen.
3. Der Besuch der Ausstellung war gut. Über 100 Menschen waren, so wie mir Klaus Krumscheid sagte, im Molti. Wer Teile der Ausstellung an anderen Orten (Rathaus, Verbandsgemeinde) gesehen hat, ist nicht zu erfassen.
4. Der Verein hat die Ausstellung zustande gebracht und sie ist finanzierbar gewesen.
Doch nun zu den Symptomen negativer Art:
1. Es ist beschämend, dass der Versuch, Besitzer von Leerständen dazu zu bringen, ihre gähnend leeren Schaufenster vorübergehend der Kunst zur Verfügung zu stellen, bis auf wenige Ausnahmen gescheitert ist.
2. Das Interesse der politischen Repräsentanten der Stadt Linz war gering. Bei der Vernissage waren dem Vernehmen nach zwei anwesend; wie viele sind es, trotz erneuter Einladung, heute?
3. Es ist bezeichnend für die Kunstszene in Linz, dass ein Zeitungsbericht in einem Lokalblatt über die Ausstellung zu einer reflexartigen Reaktion in Form eines offenen Briefes von nicht an der Ausstellung Beteiligten führt. Wohlgemerkt: Ich kritisiere nicht den im Übrigen sachlichen Inhalt des Briefes, sondern bemerke die Tatsache an sich.
4. Es stimmt einen melancholisch, wenn man feststellen muss, dass in wohlerwogener Abwägung der Interessen der Altstadtbewohner die Schaffung einer fußläufig erreichbaren Möglichkeit zum Einkaufen von Lebensmitteln das Ende des bisherigen Ausstellungsgebäudes Molti bedeutet. Wirtschaftliche Gründe aus Vergangenheit und Zukunft lassen keine Wahl. Nur durch konzertiertes Handeln vor Jahren mit einem anderen Stellenwert für Kunst und Kultur wäre ein anderer Verlauf möglich gewesen.
Nun zur Diagnose:
Die Kunstszene in Linz ist nicht homogen, vielleicht kann man auch sagen, gespalten. Die Interessen sind divergierend. Trotz aller Anstrengungen ist es bisher nicht gelungen, die Linzer Bevölkerung breit für die Kunst zu gewinnen. Jedes Mal, wenn ich zu Vernissagen komme, freue ich mich über die Besucher. Es ist aber eine ganz andere Gruppe als die Menschen, denen ich täglich in der Stadt begegne. Und es bisher nicht gelungen, was in unserer Nachbarstadt Unkel zumindest publizistisch, vielleicht auch in der Realität erreicht wurde, das einheitliche Bild einer Kulturstadt zu entwickeln.
Ich bitte um Entschuldigung für meine offenen Worte; aber als Bürgermeister verspüre ich Verantwortung für die ganze Stadt mit all ihren Facetten und dazu gehört auch die Kunst. Ich bitte aber auch die Bürger, Hausbesitzer, Geschäftsinhaber, Institutionen und Sponsoren, nein, ich fordere sie auf, ihrerseits mehr Verantwortung für das Gemeinwesen und damit die Kultur zu übernehmen.
Die Ausstellung Rheinschiene geht zumindest im Molti zu Ende; der Rhein fließt, wenn auch als dünnes Rinnsal weiter. Der Kunstverein wird Abschied vom Molti-Gebäude nehmen; der Kunstverein wird sicher auch weitere Veränderungen erfahren und er wird sich bemühen müssen, neue, junge Mitglieder zu gewinnen. Gemeinsam müssen wir versuchen, Linz als Kunst- und Kulturstadt von einem diffusen Licht zu befreien und klar zu beleuchten. Und da ist es auch unumgänglich, den Lichtkegel deutlich zu erweitern und die Region im Sinne von „Geben und Nehmen“ mit einzubeziehen. Die Hilfe der Stadt sage ich zu.
Ich wünsche dem Kunstverein Linz am Rhein viele weitere gute und erfolgreiche Jahre und danke nochmals für die Einladung.
Dr. Hans-Georg Faust
Bürgermeister der Stadt Linz/Rhein
Fotos W.W.Diegmann und Stadtarchiv